Montag, 28. Mai 2007

-zwei.002

Zwei Sicherheitstüren später erreichte Ryan den Trakt für Strahlenwaffentests. Er durchquerte einen weiß gefliesten Raum mit Duschköpfen an der einen und Spinden und Holzbänken an der anderen Seite. Während er den Spind mit der Nummer 38 aufschloss, öffnete er mit der anderen Hand bereits den Reißverschluss seines Overalls. Nach einer Woche wie dieser fieberte er den letzten Tests in diesem Trakt entgegen. Es war praktische Arbeit ohne die üblichen Mengen an Konstruktionszeichnungen und Berechnungsdiagrammen, zudem war der Trakt ein helles, modernes Gebäude, das so gar nicht den kleinen, gedrungenen Betonbüros glich, in denen er normalerweise arbeitete.
Er hängte seine Arbeitskleidung in den Spind und durchquerte den Raum zur Duschzeile. Zudem war dies der einzige ihm zugängliche Ort, an dem das Duschwasser sauber war. Aus den Bleirohren in den Wohnblöcken in Kjiw-Est schwappte meistens eine hellbraune Suppe, von der er hoffte, dass die unsichtbare Belastung des Wassers geringer war als die offensichtliche.
Die Sicherheitstür öffnete sich erneut mit einem Zischen, während Ryan bereits die Kapuze seines sterilen Overalls festzog.
"Ryan!"
Ryan blickte auf und sah Jesska Laibach zu ihm herüberkommen. Jesska arbeitete in seiner Abteilung und war so etwas wie eine Freundin, wenn seine geringe Freizeit so etwas wie Freundschaft überhaupt zuließ. Zumindest trafen sie sich an ihren wenigen freien Tagen hin und wieder im Stadion zum Jogging. Ryan entschied für sich, dass das bei seinem Mangel an sozialem Kontakt einer Freundschaft schon recht nahe kam.
"Jessky..." gab er nun erstaunt zurück, "was machst du hier?"
"Wusstest du das nicht?" erwiderte sie und suchte sich Spind Nummer 46, "ich bin neu ins Team berufen worden... weißt du was das heißt?"
"Du hast später Feierabend?"
"Wir dürfen offiziell zusammen duschen..."
"Oh," Ryan war überzeugt, dass das die beste Antwort war, sicherte dann aber seinen Spindschlüssel an einem kleinen Karabinerhaken im Innenärmel seines Overalls und ging zum hinteren Durchgang, wo die Desinfektionsduschen warteten, "so gerne ich dir beim Ablegen behilflich wäre," er warf einen flüchtigen Blick auf ihre schmalen Schulterblätter, "ich bin leider bereits spät dran... bis später Jessky."
Jesska wartete, bis die Tür hinter ihm ins Schloss fiel, dann ging sie hinüber zu den Duschen und drehte das Wasser auf. Sie beobachtete die feinen Wasserstrahlen, die aus dem hohen Duschkopf strömten, die Rinnsäle, die sich auf dem sauberen, gefliesten Boden bildeten und schließlich im kleinen glänzenden Abflussgitter verschwanden.
So klares Wasser!

-zwei.001

"Einundzwanzig, zweiundzwanzig, dreiundzwanzig..."
Ein leises Entweichen von Luft erklang, als der Hydraulikzylinder die Türverriegelung freigab. Das kleine Lämpchen über dem Scanpad blinkte zweimal grün, dann erlosch es, nur um zehn Sekunden später erneut zu blinken, während die schwere Sicherheitstür mit einem dumpfen Stoß wieder verriegelt wurde.
Der Mann, der die Tür zwischen den Blinksignalen passiert hatte, hieß Ryan Tepulev, leitender Ingenieur einer kleinen Arbeitsgruppe im "Konstruktionsbüro für Befriedungstechnologien" an der Mündung des Kjiwsjet-Hauptarmes in den großen Stausee am südlichen Ende von Lelew. Neben seinem Namen und seiner Profession verriet die Mitarbeiterakte, die im Büro von Personalchef Hirgor Olin auf dem Aluminium-Regalbrett mit dem Buchstaben "T" stand, auch sein Alter, 26 Jahre, und seinen bisherigen Arbeitsstatus: "tadellos". Ryan war in schwierigen Verhältnissen aufgewachsen. Bis zu seinem elften Lebensjahr lebte er mit seinen Eltern in einem Haus im Herzen von Woronoshki, einem Viertel im Norden der Stadt, zu dem ein einfacher Bürger wie Ryan heute nur schwerlich Zugang bekam. Während der Unruhen und dem Militärputsch vor fünfzehn Jahren schlugen sich seine Eltern, die beide an der Universität von Kjiwskagrad unterrichteten, auf die Seite der militanten Studentenbewegung und wurden irgendwo im Häuserkampf in den Straßen von Chery'inki erschossen.
Ryan wuchs danach im "Mikolos Arbeiterheim für Kinder" in der Nachbarschaft seiner heutigen kleinen Wohnung im Zentrum von Kjiw-Est auf. Er war ein guter Schüler und disziplinierter Arbeiter, und während immer mehr Kinder, die in den Heimen und Schulen als "unteres Volk" aussortiert wurden, Wohnungen in Ostoskoye zugeteilt bekamen, wo sie je nach Glück und Improvisationstalent zwei oder drei Jahrzehnte überlebten, erhielt er eine Anstellung als Ingenieur und schaffte es schnell zum Leiter einer kleinen Abteilung.

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